Ein Jahr gibt es die Trauma-Ambulanz in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen - eine erste positive Bilanz
Garmisch-Partenkirchen, April 2023
Wenn jemand ein Trauma erfährt, verändert das sein Leben. Doch viele Betroffene wissen nicht, dass es effektive Hilfe gibt.
In Kooperation mit dem Zentrum Bayern für Familie und Soziales (ZBFS), das für Traumatherapie für Opfer von Gewalttaten Kostenträger ist, bietet die Psychiatrische Institutsambulanz/PiA der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen seit einem Jahr für Opfer von Gewalttaten in ihrer Traumaambulanz Hilfe an. Die Grundidee des Konzepts: die Opfer von Gewaltverbrechen und deren Angehörige psychiatrisch und psychologisch zu versorgen und bei Bedarf zu behandeln. Besonders wichtig ist dabei die zeitnahe Behandlung mit dem Ziel, posttraumatische Folgeerkrankungen möglichst zu verhindern oder zumindest abzumildern.
„Zu uns kann trotzdem jeder kommen, der ein Trauma erlebt hat, also auch diejenigen, die beispielsweise Opfer des Zugunglücks in Garmisch- Partenkirchen geworden sind oder die einen plötzlichen Todesfall in der Familie erlebt haben“, erklärt Anna Katharina Stöcklein. Die Klinische Psychologin leitet in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen die Traumaambulanz psychologisch, die ärztliche Leitung hat der Oberarzt Dr. Manuel Ortega inne.
Die beiden ausgebildeten Traumatherapeuten wenden bei ihren Patienten unter anderem die Trauma-Methode EMDR (siehe Kasten) an, bei der durch bilaterale Stimulation wie beispielsweise Augenbewegungen beide Gehirnhälften gleichermaßen angesprochen werden. „Wenn ein Trauma geschieht, wird in dem Moment das Gehirn gewissermaßen eingefroren und Gedanken, Bilder und Erinnerungen werden unfreiwillig festgehalten“, so Stöcklein. Durch die Stimulationen sollen sich diese verfestigten Eindrücke gewissermaßen auflösen, indem die Verarbeitung der Trauma-Erinnerung im Hirn beschleunigt wird. „Wie lange die Therapie andauert und wann sie von Erfolg gekrönt ist, hängt stark von der Schwere und Art der Traumatisierung ab,“, erläutert Ortega. Eine EMDR-Behandlung ist immer eingebettet in weitere, individuell angepasste Therapie-Angebote und findet auch bei Depressionen sowie Angsterkrankungen Anwendung.
„Es ist immer wieder erstaunlich, die oft schnellen Erfolge zu sehen, gerade bei Patienten, die schon viele andere Therapieansätze ausprobiert und hinter sich haben und dennoch ihr Trauma nicht losgeworden sind“, sagt der leitende Oberarzt.
Die kbo-Lech-Mangfall-Kliniken Garmisch-Partenkirchen und Peißenberg sind die einzigen psychiatrischen Kliniken im gesamten Landkreis, die diese moderne, äußerst wirksame, zertifizierte Methode anwenden. „Wir behandeln leitliniengetreu nach den neuesten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und bieten hierfür ambulante Sprechstunden an, in denen man sich auch erst einmal nur über die Therapie-Angebote informieren kann“, berichtet Stöcklein.
Nähere Informationen zur Traumaambulanz oder Terminvereinbarung unter Tel.: 08821- 77- 6450. E-Mail: anna.stoecklein(at)kbo.de
Link zum Artikel zur Traumaambulanz in der Bayerischen Staatszeitung
Was ist EMDR?
In etwa die Hälfte aller Menschen erlebt im Laufe des Lebens ein extrem belastendes Ereignis – ein sogenanntes Trauma. Nur wenige davon entwickeln daraus eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), das weitreichende Auswirkungen auf ihr Leben hat und die Lebensqualität deutlich einschränkt. Eine Form der Psychotherapie, die dabei hilft, diese traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und Belastungen zu reduzieren, ist die Methode EMDR (Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing), eine Desensibilisierung und Neuverarbeitung durch Augenbewegungen. EMDR wurde von der US-amerikanischen Psychologin Francine Shapiro Anfang der 90er-Jahre für die Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen entwickelt. Die Bearbeitung des traumatischen Erlebnisses wird bei EMDR von schnellen Augenbewegungen der Patienten begleitet, die durch horizontale Fingerbewegungen der Therapeuten vorgegeben werden. EMDR gehört zu den wichtigsten Psychotherapiemethoden bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Seit 2006 wird EMDR in Deutschland vom wissenschaftlichen Beirat für Psychotherapie als wissenschaftlich belegte Therapiemethode anerkannt. EMDR kann sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen angewendet werden.
Interview mit einer von einem Trauma betroffenen Patientin:
Lisa K. (Name geändert) ist 23 Jahre alt. Die Finanzberaterin wurde Opfer eines brutalen Raubüberfalls.
Frau K., mögen Sie erzählen, was Ihnen widerfahren ist?
Ich übernachtete mit meinem Freund in einem Studentenwohnheim in Hamburg, als es plötzlich mitten in der Nacht an der Tür klopfte. Wir dachten, es sei bestimmt ein Kommilitone, es kam öfters mal vor, das andere Studenten sich bei uns meldeten. Ich habe zu meinem Freund gesagt, er solle sie wegschicken. Plötzlich standen zwei schwarz gekleidete, mit Sturmhauben maskierte junge, mit Messern bewaffnete Männer vor dem Bett. Sie schrien: Wertsachen her!
Sie haben sie ihnen gegeben.
Ja, es war ja nicht viel, ein wenig Bargeld und die Handys. Dann haben sie nach der Uhr meines Freundes gefragt, als er sie nicht gleich finden konnte, haben sie ihn gewürgt und ihm ein Messer an die Kehle gedrückt. Immer wieder drohten sie damit, uns umzubríngen, wenn wir ihnen die Uhr nicht aushändigen würden.
Wie lange dauerte das Ganze?
Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, aber es waren nur etwa drei Minuten. Die Männer sind dann wieder verschwunden, mein Freund hat die Polizei gerufen und die kamen dann mit der Spurensicherung. Es war der absolute Horror.
Ihnen selbst ist nichts zugestoßen?
Nein, man hat mich nicht berührt, aber ich hatte Todesangst, um meinen Freund und um mich. Ich stand unter Schock.
Sie waren traumatisiert?
Ich war seit besagter Nacht nicht mehr arbeitsfähig, litt unter Schlafstörungen und war völlig durch den Wind. Es war eine ständige, extreme innere Unruhe in mir. Immer wieder habe ich die Bilder vor mir gesehen, ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren, es lief ein ständiges Kopf-Kino, das ich nicht ausschalten konnte.
Wie sind Sie auf die Traumaambulanz gekommen?
Als ich einige Tage nach dem Überfall meine Mutter in Garmisch-Partenkirchen besuchte, hat sie meine Not sofort erkannt und gesagt, dass ich Hilfe brauche. Wir haben gegoogelt und sind auf das Angebot in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik gestoßen. Gott sei Dank haben wir gleich einen Termin für ein Vorstellungsgespräch bei Frau Stöcklein erhalten.
Wie lief das Erstgespräch ab?
Ich habe ausführlich von dem Überfall erzählt, ich habe mich plötzlich auch an andere, bis dahin verdrängte Traumata erinnert, und an daraus resultierende Ängste, die sich später vor allem in Menschenmengen und in U-Bahnen bemerkbar machten. Die Diagnose nach der ersten Sitzung lautete dann auch „Posttraumatische Belastungsstörung“.
Worunter litten Sie nach dem Überfall besonders?
Unter Verfolgungsängsten und der Furcht vor dem Alleinsein.
Wie verlief die Therapie?
Ich hatte alle 14 Tage eine Sitzung. Wir sind die Trauma-Erfahrung immer wieder gedanklich durchgegangen, ich habe mich emotional wieder in sie zurückversetzt und mit der Therapeutin gemeinsam geübt, die Gefühle aufzuarbeiten und zu differenzieren. Die Trauma-Therapie umfasste mehrere Bausteine, anfangs war es recht schwierig, mich der belastenden Situation immer wieder im Kopf auszusetzen, doch nach und nach habe ich die Dinge bewältigen können und sogar andere, belastende Erlebnisse aus früheren Zeiten aufgearbeitet. Schritt für Schritt lernte ich, den Alltag wieder zu bewältigen.
Was hat Ihnen besonders geholfen?
Dass ich immer wieder selbst nachdenken musste und gezwungen war, die gleiche Situation immer wieder aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten. So konnte ich die Ängste nach und nach abbauen und irgendwann auch wieder gut mit mir allein sein.
Wie lange hat die Therapie gedauert?
Nach elf Sitzungen habe ich mich nachhaltig besser gefühlt und konnte wieder ein normales Leben führen. Sollten Ängste erneut auftauchen, werde ich sofort wieder Unterstützung in der Traumaambulanz suchen, ich kann sie nur jedem empfehlen, der selbst ein traumatisches Erlebnis nicht bewältigt hat.
Das Gespräch führte Barbara Falkenberg