Die Fachgesundheits- und Krankenpflegerin Stefanie Wagner ist Teil des Teams der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen am Standort Peißenberg. Ein Erfahrungsbericht.
Peißenberg, Februar 2024
Im Landkreis Weilheim-Schongau ist das StäB-Team der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen am Standort Peißenberg rund um die Uhr im Einsatz. „Wir behandeln Patienten/Innen mit fast allen psychiatrischen Erkrankungen, die aus verschiedenen Gründen auf ihre häusliche Umgebung angewiesen sind, daheim im eigenen Umfeld“, erklärt Stefanie Wagner (38). Die Fachgesundheits- und Krankenpflegerin in der kbo-Lech-Mangfall Klinik Peißenberg schätzt die hohe Eigenverantwortlichkeit und das selbständige Arbeiten bei dieser Aufgabe.
„Auf Station weiß man in der Regel, was einen erwartet, daheim bei den Patienten/innen nimmt man den Menschen in seinen Lebensumständen wahr, stößt auch immer wieder auf unvorhergesehene Umstände“, erklärt Wagner. Man tauche mit der Zeit gewissermaßen in das Familiensystem der Patienten/Innen ein und erlebe den Menschen in seiner Interaktion, die einen Einfluss auf seine Begleitung und Stabilisierung hat. „Dies ist ein großer Vorteil dieses Behandlungskonzeptes. Unsere Patienten/Innen brauchen sich nicht in allen Belangen zu erklären, da man vieles selbst direkt Vorort miterlebt. Man ist für die Dauer der Therapie in das familiäre Umfeld der Patienten/Innen eingebunden und lernt sie so sehr intensiv, umfassend in einem geschützten Rahmen kennen. So finden wir sehr schnell heraus, welche Ressourcen vorhanden sind und an welchen Stellen Unterstützung benötigt wird.“
Die gemeinsame Zeit, der offene Gestaltungsraum und die individuelle Hilfe sind nach Wagners Meinung enorme Vorteile im Rahmen einer StäB-Behandlung.
Für viele Patienten/Innen ist es z.B. schwierig, sich im Alltag zurechtzufinden. „Durch StäB entfällt dieses Problem. Eine meiner Aufgaben ist es, den Menschen bei ihrer Lebensführung im Alltag Sicherheit und Struktur zu geben. Dies kann sehr individuell ausgeprägt sein, wie beispielweise in einer depressiven Phase einen Einkauf zu bewältigen oder die Betreuung der Kinder zu übernehmen.“
Wagner berichtet von einer Patientin, die es zunächst seltsam empfunden habe, dass die TherapeutInnen zu ihr nach Hause kamen, aber bereits nach kurzer Zeit sei klar geworden, dass das Zuhause die notwendige Sicherheit, den gewohnten Rahmen bot, sich zu öffnen und Ängste oder Vorbehalte abzulegen. Entspannungstechniken, die in einer intensiven Einzeltherapie erlernt wurden, konnten in das Alltagsgeschehen transferiert werden und versprechen damit eine höhere Nachhaltigkeit in der Anwendung und somit Wirksamkeit.
Wie alle ihre Kollegen/Innen aus dem StäB Team auch fährt Wagner bewusst mit einem Dienstwagen ohne kbo-LMK-Logo zu den Hausbesuchen, um der Stigmatisierung entgegenzuwirken und Vertrauen zu schaffen. Immer wieder macht sie die Erfahrung, dass sich Patienten/Innen schneller öffnen und einen wichtigen, ersten Schritt in Richtung Gesundung eher wagen als im klinischen Umfeld.
Jeder Besuch dauert in etwa eine Stunde, alle Patienten/Innen werden von den Mitarbeitenden des StäB-Teams täglich behandelt, auch an den Feiertagen. Eine 24-Stundenrufbereitschaft deckt die Notfälle ab. „Bei Bedarf bieten wir weitere Termine an und es gibt ein geeignetes Nachsorge- Setting“, erläutert Wagner, die an einem normalen Arbeitstag bis zu fünf Patienten/innen betreut.
Für Wagner ist StäB ein Glücksfall. Sie schätzt nicht nur ihre interessanten und verantwortungsvollen Aufgaben, den großen Gestaltungsspielraum in einem multiprofessionellen Team, sondern vor allem auch, dass durch die professionelle Nähe eine konstante Bezugspflege mit einem höheren Vertrauen einhergeht. Aus ihrer Sicht steigert dies die Chancen auf einen Behandlungserfolg.
Ihre pflegerische Eigenständigkeit ist, so Wagner, mit dieser neuen Aufgabe nochmals deutlich gewachsen. „Mich erfüllt die Zeit mit den Patienten/innen während eines Hausbesuchs, bei dem die volle Konzentration auf ihnen liegt, mit hoher Zufriedenheit. Aber natürlich ist die eigene Verantwortung hoch. Man benötigt eine hohe Fachkompetenz, sicheres Auftreten, Strukturiertheit, Entscheidungsfreude, Beobachtungsgabe sowie Verantwortungsbereitschaft, um das jeweilige Befinden der Patienten/innen einzuschätzen, um sie ihrer Eigenständigkeit zu übergeben.“
Auch die Pflegedirektorin der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH, Christina Kießling, bestätigt die hohe Fachkompetenz von Stefanie Wagner, die mit diesem Versorgungsangebot auch einen weiteren Entwicklungsraum für das Berufsbild von Pflegenden sieht. Neben der Veränderung der Gesellschaft und der Gesundheitsversorgung unterliegen auch die Gesundheitsfachberufe einem Wandel. „Pflegende in diesem Bereich arbeiten professionell und selbstständig und können einen maßgeblichen Beitrag leisten, die medizinisch-pflegerische Versorgung erheblich zu verbessern“, so Kießling.
Zusatzinformation:
Die kbo-Lech-Mangfall-Klinik Garmisch-Partenkirchen am Standort Peißenberg bietet für den Landkreis Weilheim-Schongau die Stationsäquivalente Behandlung (StäB) mit 30 Plätzen an, um dem wachsenden Bedarf und der Nachfrage nach wohnortnaher, stationärer Versorgung gerecht zu werden.
Intensivere psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung war bisher nur in stationären Einrichtungen möglich. Ganz im Sinne des Leitsatzes der psychiatrischen Reform von 1970 „ambulant vor stationär“ haben seit Januar 2018 psychiatrische Kliniken unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, Patienten/Innen mit der Indikation zur stationären Therapie auch zu Hause zu behandeln“,
Die entscheidenden Voraussetzungen seien, dass sich das Behandlungsziel am ehesten im häuslichen Umfeld erreichen lässt und die Behandlung von diesem Umfeld auch unterstützt wird. „Bei der Stationsäquivalenten Behandlung mit ihrem intensiven Behandlungsangebot außerhalb der Klinik handelt es sich dabei um eine komplexe, aufsuchende, zeitlich begrenzte, akutpsychiatrische Behandlung, die durch ein mobiles, multiprofessionelles Team im unmittelbaren Lebensumfeld des Patienten durchgeführt wird. Wir schließen damit eine Versorgungslücke“, führt Privatdozent und Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken Garmisch-Partenkirchen, Peißenberg und Murnau, Dr. Florian Seemüller aus.
Dieser Behandlungsansatz in der psychiatrischen Krankenhausbehandlung löst die Behandlungsmerkmale der stationären akutpsychiatrischen Behandlung von der äußeren Form des stationären Aufenthalts und verlagert diese in das Lebensumfeld der Patienten/Innen. Medikamentöse,
ärztliche, pflegerische, sozialpädagogische, psycho- und fachtherapeutische Angebote werden unter fortlaufender, engmaschiger Überwachung des Gesundheitszustands je nach Bedarf auch rund um die Uhr und an allen Tagen der Woche angeboten. Diese Form der Behandlung im häuslichen Umfeld entspricht hinsichtlich der Inhalte sowie der Flexibilität und Komplexität der Behandlung einer vollstationären Behandlung mit dem Ziel einer Symptomreduktion und dem Erhalt bzw. der schnellen Wiederherstellung psychischer und gesellschaftlicher Funktionen der Betroffenen. Die Bewältigung der Erkrankung im häuslichen Umfeld unterstützt den Erhalt größtmöglicher gesellschaftlicher Teilhabe und der Selbstbestimmung und dient somit der Vermeidung krankheitsaufrechterhaltender Regression, ein bekanntes Phänomen im Kontext vollstationärer Aufnahmen. Der selbstverantwortliche Umgang der Patienten/Innen mit ihrer Erkrankung soll durch StäB gefördert sowie der weitere Verlauf präventiv positiv beeinflusst werden. Zudem können Behandlungsangebote individuell ausgestaltet und angepasst werden.